Aufarbeitungsprozesse (2): Was und wie?

Die Psyche eines Menschen hat im Laufe des Lebens einiges zu verarbeiten. Ob es mehr oder weniger ist, hat unter anderem auch mit Glück zu tun. Es ist wohl kein Zufall, dass wir oft den Begriff des Schicksals im Kontext von Reflexionen und Aufarbeitungen nutzen.

Was sollte aufgearbeitet werden?

  • das Erleben verstörender Situationen
  • der Umgang mit “Scheitern”
  • Verlust & Trauer
  • Unfälle und Krankheiten
  • erlittenes Unrecht

All das kann ein Individuum belasten und sich auf seine psychische Gesundheit auswirken. Daher ist es wichtig, wirkmächtige Ereignis bestmöglich aufzuarbeiten.

Wie kann Aufarbeitung aussehen?

Eine solche Aufarbeitung kann unterschiedliche Wege gehen, manchmal auch mehr als einen. Nicht alles passt zu jedem Ereignis. Hier ein paar beispielhafte Möglichkeiten:

  • Akteneinsicht (z. B. die Sichtung medizinischer, polizeilicher oder gerichtlicher Unterlagen)
  • therapeutische Begleitung
  • Rechtsberatung
  • Opferschutz
  • die Beantwortung persönlicher Fragen.

Manchmal ist es hilfreich neben der aufarbeitenden Reflexion auch eine Form zu finden. Das können Tagebucheinträge oder persönliche Berichte sein, aber auch künstlerische Formen, je nach persönlicher Neigung. Ein Bild, ein Gedicht, ein Lied, eine Skulptur, … Es gibt keine Grenzen. Wichtig ist, dass sich die Form für die aufarbeitende Person stimmig anfühlt, und dass das Ergebnis hilfreich ist.

Wozu sollte eine Aufarbeitung stattfinden?

Das Ziel von Aufarbeitungsprozessen ist die möglichst gute Integration der Ereignisse. Dazu gehört vor allem die Akzeptanz des Ereignisses als ein Teil der Biografie und der Identität. Es ist wichtig, aus dem Ereignis ein Narrativ zu machen, also ein Erzählbild, das eine ordnende Funktion für Betroffene hat. Zu dieser “Ordnung” gehören neben der Faktendarstellung auch eine (persönliche und/oder moralische) Bewertung dieser Fakten und die Anerkennung der Folgen für die eigene Person. Im besten Fall bedeutet eine gute Aufarbeitung, dass die zu tragende Last kleiner wird, und dass die emotionalen und gesundheitlichen Folgen besser handzuhaben sind.

Teilen der persönlichen Aufarbeitung?

Mit der Veröffentlichung der eigenen Geschichte ist nicht zwingend die für ein großes Publikum gemeint. Wer sein Ereignis bislang nur mit sich selbst ausgemacht hat, wird bereits das Erzählen unter vier Augen in einer Therapie als Veröffentlichung empfinden. Es gibt auch zahlreiche Beispiele für die “größere” Veröffentlichungen in Form von Interviews, offenen Schilderungen oder auch in künstlerischer Form:

  • Lady Gaga hat sich offen darüber geäußert, dass sie Opfer sexueller Gewalt wurde. (Link zum Spiegel-Artikel). Für den Dokumentarfilm The Hunting Ground, der von Vergewaltigungen an Studentinnen auf dem Campus berichtet, schrieb sie das Lied Til It Happens To You, das für einen Oscar nominiert wurde.
  • Roger Willemsen schildert in seinem Buch Der Knacks, welche Auswirkungen der Verlust seines Vaters für ihn hatte.
  • Martin Schmitz hat seine Erfahrungen sexueller Gewalt aus der Messdiener-Zeit durch einen Kaplan aufgearbeitet. Er hat auf Veranstaltungen darüber erzählt, der unabhängigen Kommission davon berichtet und schließlich das Buch Der dunkle Hirte veröffentlicht.
  • Aufarbeitungen von Entführungen: 3096 Tage (Natascha Kampusch) und Im Keller (Jan Philipp Reemtsma). Jan Philipp Reemtsmas Sohn, Johann Scherer, hat die Entführung seines Vaters ebenfalls aufgearbeitet: Wir sind dann wohl die Angehörigen.

Ob man selbst seine Aufarbeitung “veröffentlichen” möchte, ist eine weitreichende Entscheidung. Es muss ja keine mediale Veröffentlichung sein. Auch das Erzählen im Freundeskreis oder bei einer Selbsthilfegruppe ist eine möglicherweise hilfreiche Form der Veröffentlichung. Die richtige Form ist nicht von der Größe des potenziellen Publikums abhängig, sondern von der Frage, was sich für betroffene am besten anfühlt.

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