Die vergewaltigte Prinzessin – über den Märchendichter Giambattista Basile

Giambattista Basile (1575-1632) stammte aus Neapel und gilt als als Europas erster großer Märchenerzähler. Basile wuchs in einer vermögende Familie auf, die auch bei Hofe verkehrte. Seine Schwester Adriana Basile war damals eine bekannte und auch einflussreiche Sängerin, und es ist ihrem Einfluss zu verdanken, dass er 1608 zum Hofpoeten ernannt wurde. 1611 gründete er in Neapel eine literarische Akademie.

Basiles Märchen

Basiles Märchensammlung wurde zwischen 1634 und 1636 postum herausgegeben. Es gibt eine Rahmenhandlung, in der zehn Frauen an fünf Tagen jeweils ein Märchen erzählen. Diese fünfzig Volksmärchen waren volkstümlichen Ursprungs. Basile hatte sie allerdings durch zeitgeschichtliche Zusätze und Ironie verändert und ergänzt. Ab 1674 erhielt die Sammlung den Titel „Das Pentamerone“ (= „Das fünf-Tage-Werk“). Basiles Sammlung spielte in ihrer Form bereits auf Boccaccios Novellensammlung „Decaneribe“ (= „Das zehn-Tage-Werk“ an). Erst 1846 erschien die erste deutsche Gesamtübersetzung durch Felix Liebrecht.

Basiles Märchensammlung war eine wichtige Quelle für spätere Märchensammler wie Ludwig Tieck, Charles Perrault, Clemens Brentano und die Brüder Grimm. Unter seinen Märchen finden sich auch erste Versionen von „Dornröschen“, „Aschenbrödel“, „Der gestiefelte Kater“, „Schneewittchen“, „Die Schöne und das Biest“, „Der Froschkönig“ und „Rapunzel“ Zu Basiles bekanntesten Märchen zählt auch „Der Kaufmann“.

Vorsicht: Für Kinder kaum geeignet

So wertvoll die Sammlung Basiles für Märchenforscher auch ist. Für Kinder ist sie kaum geeignet. Ein Beispiel: Das Märchen „Sonne, Mond und Talia“ ist eine frühe Dornröschen-Version. Talia ist hier der Name der schlafenden Königstochter. In ihr Schlafzimmer kommt aber kein schöner Prinz zum Wachküssen, sondern ein (mit einer anderen Frau verheirateter) König, der sie im Schlaf vergewaltigt und liegen lässt. Neun Monate später bringt sie, immer noch schlafend, Zwillinge zur Welt. Sonne und Mond sollen die Kinder heißen. Feen sind hier als Hebammen tätig. Talia erwacht schließlich, als die Feen nicht anwesend sind und die Kinder an ihrem Finger zu saugen versuchen. Die Vergewaltigung wird in dem Märchen in keinster Weise moralisch infragegestellt. Im Gegenteil. Die Frau des Königs ist eine Ogerin. Somit dient dieses Märchen in seinen Bildern als Shrek-Vorlage. Als die Ogerin versucht, Talia und ihre Kinder aufzufressen, kommt sie selbst zu Tode und Talia heiratet den König.

Das Wachküssen im Dornröschen der Brüder Grimm mag aus heutiger Sicht auch bereits kritisch zu sehen sein. Eigentlich aber ist es eine Abmilderung des Originalmärchens. Aber auch dieses Wachküssen muss pädagogisch hinterfragt und mit Kindern diskutiert werden. Eine differenzierte Herangehensweise findet sich in meinem Buch Hundert Fragen an Dornröschen.

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